La Forta und Totgesagte leben länger

Es war eine klirrend kalte Dezembernacht im Jahr 2017, als La Forta geboren wurde. Jener Winter segnete die Berge schon zum Jahresausklang mit viel Neuschnee, und das Tal blieb unter einer dicken Nebeldecke gefangen. La Fortas Start ins Leben war steil und steinig und im wahrsten Sinne des Wortes von wenig Sonne begleitet. Unser Stall wurde in jenen Wochen von Cryptosporidien regelrecht überflutet. Die Kälber liessen uns nur wenige Stunden schlafen. Um sicherzugehen, nicht einen ganzen Jahrgang zu verlieren, mussten wir sie auch nachts versorgen. Heute wissen wir: Die schlaflosen Nächte haben sich gelohnt, denn in jenen Tagen erkrankten zwei unserer heute wichtigsten Kühe im Stall lebensbedrohlich. Eine von ihnen ist La Forta.

Fast leblos im Stroh

Noch keine 24 Stunden alt, erlitt das kleine Kälbchen, das mit rund 35 kg geboren wurde, eine Erkrankung mit dem Durchfallparasiten. Es dauerte nur wenige Stunden, bis sie fast leblos im tiefen Stroh lag. «Da mache ich nichts mehr ausser einschläfern», sagte unser Tierarzt, im Stallgang stehend, mit Blick auf das rote Kalb. Ich wurde wütend, obschon ich diese Aussage im Grunde gut verstand. Die Aussichten waren offensichtlich schlecht. Jener Moment war gleichzeitig auch der Startschuss, mich auf den Weg der homöopathischen Behandlung zu begeben.

Tiere tragen Namen

Ich entschied mich aktiv gegen eine Euthanasie und sagte der Aussichtslosigkeit den Kampf an. Das Kalb erhielt in jenen Stunden den Namen La Forta – die Starke. Für mich steht dieser Name und die mittlerweile fünffache Mutter heute für ein Stück Schweiz, für eine Landwirtschaft, in der das Leben eines Kalbes einen Wert hat, für Ställe in denen Tiere Namen tragen und für eine Form der Milch- und Fleischproduktion, in der Emotionen, Tränen und Verbundenheit mit den Tieren viel Raum einnehmen.

La Forta überlebte. An wie viel Kampfbereitschaft und wie viel Wunder ihr Leben schliesslich hing, wissen wir nicht. Es ist im Grunde auch nicht wichtig. Wenn sie heute durch den Melkstand läuft und sich unsere Blicke bei meiner und ihrer Arbeit kreuzen, dann weiss ich, es lohnt sich, für etwas einzustehen, das andere als aussichtslos beurteilen.

Wenn wir heute ihr Lebensrad zurückdrehen, steht ihr Name sinnbildlich für ihren Weg. Die Nähe zum Tod begleitete sie immer einmal wieder – und immer wieder hat sie bewiesen, dass sie den Weg des Lebens wählt, ob jemand an sie glaubt oder auch nicht.

Die Kuh, die von einem Natursprungstier aus dem Stall von Urs Trachsel, Oberbütschel BE, abstammt, gehört zu den Totgesagten, die länger leben.

Lars und die Familie Schläfli

Nach zwei Kuhkälbern gebar La Forta einen Stier – Lars. Mein Mann Walter, der Stiere aufzieht, hatte Lars nicht im Visier. Lars hat seinen darauffolgenden Einsatz als Zuchtstier bei der Familie Schläfli in Posieux FR dem Umstand zu verdanken, dass wir zu jener Zeit einige Kühe nicht in den Tank melken konnten und die Milch den Kälbern vertränkten. Also blieb Lars. Letzte Woche nach der Zuchtstierausstellung in Bulle FR trat er seinen letzten Gang an. Schläflis erwarten rund 50 Kälber von ihm. «Er war ein Superstier», sagte mir Ernest Schläfli gestern noch am Telefon.

Nur wenige Monate nach Lars’ Geburt hatte La Forta im Laufstall einen Unfall. Was genau passierte, wissen wir nicht. Sie verletzte sich am linken Hinterbein und entlockte dem Tierarzt einmal mehr den Satz, dass da eher nichts mehr zu machen sei. Doch La Forta lief, das Verstellen in die Krankenbox quittierte sie mit lautstarkem Brüllen. Sie wollte in der Herde bleiben. Das Bein wurde stets dicker und im Gegenzug meine Nerven immer dünner. Es war wiederum eine kalte Winternacht, wie ihre Geburtsnacht, als ich in der Pyjamahose nach Bern fuhr, irgendwo in eine Bar, wo mein Pferdetierarzt mir eine «Wassertablette» überreichte. «Mach, dass du das Wasser aus diesem Bein kriegst, es darf nicht noch dicker werden, sonst steht sie nicht mehr auf», sagte er. Wir gingen spazieren, setzten auf Homöopathie, Umschläge und den Willen dieser Kuh.

Und wieder überlebt sie

La Forta überlebte. Der Unfall blieb an ihrem Bein aber sichtbar. Was dazu führte und was es genau war, wissen wir bis heute nicht. Es ist für den Alltag mit ihr auch nicht relevant. Sie geht ihren Weg, und den geht sie ohne klare Struktur. Sie kommt nie zur gleichen Zeit in den Melkstand, sie steht nie am gleichen Platz an der Fressachse, und sie liegt auch nie in derselben Box wie andere Kühe, die mit ihr in der gleichen Laktation stehen. La Forta sucht man immer. «Wo ist La Forta?» ist eine Frage, die mein Mann Walter gut von mir kennt. La Forta wurde unbewusst eine Linienbegründerin, denn aus ihr sind alle La-Tiere, die in unserem Stall stehen, und das sind mittlerweile einige. Auf sie werden irgendwann Dutzende von Nachkommen zurückgehen, denn nicht nur ihr Sohn Lars, sondern auch ihre Töchter prägen die Zucht – allerdings jene in unserem eigenen Stall. La Forta und Totgesagte leben länger. Spätestens durch das, was sie in unseren Ställen, aber auch in unseren Herzen hinterlassen.

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